„Es gibt nur zwei glückliche Tage im Leben eines Yachtbesitzers: Der Tag, an dem er seinen Kahn gekauft und der, an dem er ihn wieder verkauft hat.“
Und dann gibt es noch das Leben vor dem Kauf und dieses will hier erzählt werden:
Anfang Oktober 2021: Zwei Jahre Corona liegen hinter uns. Mehrere Lockdowns (ein Begriff, der 2019 völlig unbekannt war, aber seit der grassierenden Pandemie bedrohlich und allgegenwärtig wie ein Damoklesschwert über der Gesellschaft hängt) haben wir überstanden. Dank des phantastischen Pandemiemanagements und der breiten Impfbereitschaft der Bevölkerung kündigt sich ein weiterer Lockdown an.
Nicky und ich träumen vom Reisen, vom Segeln, von Abenteuern und von der Freiheit. Irgendwann wollen wir ein Boot kaufen und in See stechen. Davon reden wir schon seit Jahren, haben auch schon fleißig gespart und das Buch „Weltbesegelung jetzt“ von Gesina Lüthje und Leo Merz über den Kauf ihrer SELUNA intensiv studiert. Wie schon so oft besuche ich eine der üblichen Yacht-Verkaufsplattformen im Internetz und schmökere in den Angeboten. Wir haben konkrete Vorstellungen von unserer Traumyacht: GFK, Metall ist zu teuer. Achtercockpit, CC ist zu beengend. Kuttergetakelte Slup, das ist einfach und billiger als ein Kat. Baujahr zwischen 2000 und 2010, da ist das GFK noch dick und das Boot noch nicht zu alt. Aus dem Charter, alles andere sprengt unser Budget. Traumboot: Jeanneau Odyssey DS 43, BJ 2003, aber die ist nicht zu kriegen.
Doch heute reitet mich der Teufel und ich gebe „Stahl“ in die Suchmaske ein. Plopp, da taucht sie fett auf dem Bildschirm auf: Motiva 46, „ein Boot wie eine Burg“, ein Ungetüm aus 25t Stahl, ketchgetakelt, ein riesiges CC, Decksalon, Innen- und Außensteuerstand, geräumige Pantry, große Eignerkabine und innen alles in echtem Holz, WOW! Ich schnappe das iPad und halte es Nicky unter die Nase. Es folgt ein kurzer kritischer Blick und die Aussage „Die schauen wir uns an!“ ist ein Auftrag für mich.
Ich formuliere ein nettes Mail, stelle uns kurz vor und bekunde Interesse an dem Schiff. Was folgt ist eine Woche lang nix. Also formuliere ich ein weiteres Mail, aber es passiert wieder nix. Ich forsche nach, beschäftige Google und filtere letztendlich eine Shortlist mit möglichen Telefonnummern. Sherlock Holmes Hilfsausdruck. Tatsächlich bekomme ich den Verkäufer, Edi, ans Telefon. Er hat sich nicht gemeldet, weil er seine Mails nicht checkt, so ist das also. Wir erfahren, dass quasi als „Hausmeister“ Werner am Boot lebt, das Boot zur Zeit an Land steht und wir es jederzeit besichtigen können.
Ende Oktober 2021: Mit Schmetterlingen im Bauch brechen wir Richtung Italien auf. Wir übernachten in Udine, das wir rasch ins Herz schließen. Abends essen wir fabelhaft in der urigen Osteria Alla Ghiacciaia. Noch können wir nicht ahnen, dass wir hier noch öfter vorbei schauen werden.
Am nächsten Tag sind wir um 10:00 mit Werner in der Marina in San Giorgio di Nogaro verabredet, ein Katzensprung von Udine entfernt. Später werden wir feststellen, dass San Giorgio ein Ort ist, den man wirklich nicht gesehen haben muss, aber nett. Die Marina liegt quasi als grüne und stille Oase inmitten einer scheußlichen Industriewüste. Werner empfängt uns am Tor und führt uns zum Boot. Ich merke, wie das Adrenalin in meinen Adern pocht. Nicky ist schweigsam, ein untrügliches Indiz, dass sie extrem angespannt ist.
Vor uns steht die alte Lady aus Stahl, riesig groß und wuchtig. So ein Langkiel gibt wirklich was her. Über eine Leiter klettern wir an Bord und inspizieren zum ersten Mal das Schiff. Das Boot ist eindeutig old school, alles ist ernsthaft ausgeführt, überdimensioniert, Vollholz statt Funier, 3x500l Wasser, 1000l Diesel, 100m 13mm Ankerkette, die Wanten erinnern mich an die Drahtseile beim 1er Sessellift aus meiner Kindheit. Decksalon und Pantry sind riesig, die Vorderkabine groß und als Werkraum ausgeführt. In meiner ersten Wohnung waren Bad/Dusche/Klo eindeutig enger. Der Motorraum ist begehbar und beherbergt neben dem alten 5,8l 6 Zyl Perkins mit 130 PS einen Generator, einen Tauchkompressor, einen Werkstättenkompressor, 6 Batterien mit jeweils 180Ah,…. Die großzügige Eignerkabine mit echtem Doppelbett und vollwertiger schiffsgerechter Einrichtung ist der Hammer. Natürlich ist die Zeit nicht spurlos vorüber gegangen, außerdem ist jedes Schapp mit Ersatzteilen (oder doch Klumpert?) vollgestopft.
Die Boote die wir bis jetzt gechartert haben erinnern im Vergleich an Plastikspielzeug. Hier wirkt alles ernsthafter, zweckgerichteter, funktioneller, mehr Schiff als Boot. Nicky und ich schauen uns an. Ein schönes Schiff, unser Schiff! Wirklich?
Aufgekratzt verlassen wir Schiff, Werner und Marina und bleiben noch 2 Nächte in Triest.
Es folgen Wochen der Besprechungen. Es ist rasch klar, dass es beim Preis nichts zu verhandeln gibt. Etliche organisatorische Details müssen geklärt werden. Das allmorgendliche Ritual wird geändert. Statt uns einen guten Morgen zu wünschen fragen wir uns gegenseitig, ob wir wieder vom Schiff geträumt haben. Anfang Jänner geben Edi und wir uns einen virtuellen Handschlag am Telefon. Wir kaufen das Schiff, vorbehaltlich einer genauen technischen Inspektion und Probesegeln. Und damit fing das ganze Schlamassel an.
Ende März schlemmen wir wieder in Udine, dann treffen wir Edi beim Boot. Ein lieber Bekannter, der kürzlich eine Hallberg Rassey gekauft hat, gab mir noch rechtzeitig einen wertvollen Tipp: Wir sollen unbedingt einen sehr guten Schiffsgutachter beiziehen und zwar Gregor. Der Plan schaut so aus: Gregor soll am ersten Tag das Schiff im Trockenen auf Herz und Nieren prüfen. Am späten Nachmittag wird gekrant. Am zweiten Tag geht dann die Prüfung im Wasser weiter.
Während mir Edi das Boot detailliert erklärt prüft Gregor gewissenhaft die Rumpfstärke per Ultraschall. Alles passt perfekt – bis eine halbe Stunde vor dem Krantermin Gregors Schraubenzieher durch den Stahl bricht. Wir haben ein Loch im Rumpf. Unter einer Bodenplatte hat sich offensichtlich schon vor Jahren ein alter Neopren-Badeschuh, schön salzig und damit immer feucht, versteckt. Genau da haben sich 5mm Schiffsbaustahl in Rost aufgelöst. Wir sind zerstört und das Probesegeln können wir uns abschminken.
Alle Bodenbretter werden gelüftet und wir finden noch einige Roststellen, nicht bedrohlich aber dringend behandlungsbedürftig. Beim Stevenrohr bleibt uns nochmals kurz der Atem stecken. Es schaut katastrophal aus, wenn das kaputt ist platzt der Deal. Aber man soll sich nicht von der Optik täuschen lassen, die Schäden sind nur oberflächlich.
Wir erstellen gemeinsam mit Edi eine genaue ToDo-Liste, teilen uns die Arbeiten auf und beginnen unverzüglich mit der Sanierung von Roststellen im Schiffsinneren, obwohl uns das Boot noch gar nicht gehört. Edi ist u.a. für die Sanierung der durchrosteten Stelle im Rumpf zuständig, soll das Schweißen organisieren, den verrosteten Abgaskrümmer ersetzen und den Kerosin-Herd aktivieren.
Und dann passiert wochenlang wieder einmal nichts. Die Werft in der Marina weigert sich das Loch zu schweißen und ohne Werft geht hier gar nichts. Auch diese Erfahrung werden wir noch öfter machen. Endlich, es ist bereits Mai, ist das Loch zu. Edi fährt schon einige Tage vor uns zum Schifferl, ersetzt den Echo-Geber und lässt das Boot kranen. Inzwischen packen wir alle Notwendigkeiten ins Auto und wollen losfahren. Kurzer Check-Anruf bei Edi. „Hast Du meine Nachricht nicht gekriegt?“ fragt er. „Der Echo-Geber war nicht ordentlich eingedichtet und Wasser ist ins Boot eingedrungen. Das Boot steht wieder an Land und es gibt noch keinen weiteren Krantermin.“ Wieder nichts. Wir bleiben in Österreich und besteigen zum Frustabbau einen Berg.
Ende Juli 2022: Edi hat inzwischen alles dicht bekommen, das Schifferl schwimmt im Wasser, nach seinen Aussagen ist technisch alles in Ordnung. Wir wollen bereits am Freitag Abend nach San Giorgio fahren, Edi kommt dann am Sonntag nach. Freitag Mittag läutet das Telefon. Es ist Edi, er hat Corona und kann frühestens am Mittwoch kommen. Frust, ganz großer Frust. Will uns das Schiff nicht? Will uns das Universum, das Schicksal oder sonst wer was mitteilen?
Wir fahren trotzdem zum Boot und beginnen den Inhalt der Schapps zu inspizieren, probieren das Dinghi aus (Caribe Rib mit geilem Yamaha Enduro 15PS 2 Takt Motor) und fangen an das etwas verwahrloste Boot von oben bis unten zu putzen. Wir lernen, dass putzen im Hochsommer, zumal im Urlaub, bei mindestens 35°C einen rasch an die Grenzen des Erträglichen bringt.
Endlich kommt Edi zum Probesegeln. Der gute alte Perkins springt sofort mit seinem typischen dumpfen Blubbern an. Nach einigen Minuten meldet sich die Temperaturkontrolle mit einem penetranten Piepsen. Kühlwasser kommt unverdächtig aus dem Auspuff und der Motor ist kühl. Die Temperaturkontrolle ist lediglich falsch montiert, also Entwarnung.
Wir verlassen die Marina und fahren den Fluß Corno Richtung Laguna die Marano. Nicky steht am Steuer und lenkt das Schiff mit einer Leichtigkeit. Trotz 25t und Langkiel ist es problemlos steuerbar, zumindest vorwärts. Die großen Schlepper mit Frachtern im Schlepptau kommen uns entgegen. In der Lagune setzen wir die große Genua und lassen uns vom Wind auf das offene Meer ziehen. Die Schiffahrtsrinne ist relativ schmal, dafür unser Tiefgang beträchtlich. Aber alles geht gut und so lassen wir den Perkins verstummen. Segeln ist einfach herrlich!
Wir haben das offene Meer noch nicht erreicht. Eine Böhe drückt uns unangenehm nahe an eine Dalbe. Wir beschließen deshalb den Motor wieder mitlaufen zu lassen. Ich drehe den Schlüssel, aber der Motor macht keinen Mucks. Edi kommt unter Deck und checkt die Situation. Messerscharf analysieren wir, dass wir absolut nicht wissen warum der blöde Motor nicht anspringt. Wir lassen das Dinghi zu Wasser, binden es längseits fest und lassen uns von dem 15 PS Yamaha zurück in die Marina ziehen.
In der Einfahrt zur Marina ist eine Sandbank, wir haben 2,5m Tiefgang und können nicht ordentlich manövrieren. Es kommt wie es kommen muss, wir sitzen fest. Unser Karma kann aber nicht restlos schlecht sein, ein Italiener zieht uns mit seinem kleinen Sportboot aus dem Schlamm. Mit aller letzter Kraft retten wir uns auf unseren Liegeplatz. Ein 25t Boot ohne Motor zu bewegen ist wahrlich nicht so einfach.
Edi hat eine schlaflose Nacht, kann er sich den Motorausfall doch nicht erklären. Um 7:00 beginnt er bereits mit der Fehlersuche. Eigentlich ist die Sache sonnenklar: Der Starter tut gar nichts. Das kann einerseits am Magnetschalter liegen, oder der Starter bekommt keinen Strom. So ist es auch. Irgendwer hat das Plus-Kabel zum Starter mit einer Lusterklemme geflickt und die ist vollkommen korrodiert. Beim Check der Temperaturkontrolle haben wir das Kabel dann offensichtlich völlig zerstört. Das Kabel ist rasch geflickt und der Motor läuft wieder. Hurra!
Fazit: Es sind 10 Monate vergangen, seit wir das Boot das erste Mal im Internet gesehen haben. Wir hatten etliche Pannen. Edi hat seine Aufträge korrekt abgearbeitet, der Motor läuft, das Abgasknie ist getauscht, der Generator läuft, die Segel sind funktionsfähig, das Schiff ist dicht. Der Kaufvertrag will unterschrieben werden. Nicky und ich sind am zweifeln. Was wird noch auf uns zukommen? Ist das Boot wirklich in Ordnung? Wird der Rost beherrschbar sein? Ist das wirklich die richtige Entscheidung? Wir wissen es nicht. Aber wir sind uns einig, dass wir es uns nie verzeihen würden, wenn wir dieses Schiff nicht kaufen. Also setzen wir mit einem flauen Gefühl in unseren Mägen die Unterschriften auf den Vertrag. Es ist der 12. August, der Geburtstag meiner Oma, jener Oma, in deren Haus wir zur Zeit wohnen. Der Oma hätte das Schiff gefallen und wir nehmen diese zeitliche Koinzidenz als Omas Segen. Das flaue Gefühl in unseren Mägen verschwindet und wir sind überzeugt, die richtige Entscheidung getroffen zu haben.
Jetzt gehört die alte Lady uns. Man sieht ihr die Lust am Herumziehen an, ihre Erfahrung, ein paar Blessuren. Stillstand tut ihr nicht gut. Wir wollen mit ihr die Welt besegeln, herumstravanzen, Abenteuer erleben. Wir finden, der einzig richtige Name für sie ist
GYPSEA