Es brauchte ein ausgiebiges und gutes Frühstück, um die Abenteuer der letzten Nacht zu verdauen. Aber jetzt sind wir wieder guter Dinge und planen unseren weiteren Törn. Es ist Donnerstag, Johanna muss am Samstagmorgen in Wien ankommen. Ein Flixbus fährt von Rovinj Freitag abends los. Das nächste Ziel ist also fix, nach Rovinj sind es außerdem nur ein paar Meilen, da kommen wir auch noch zum Baden.
Das Schifferl wird klar gemacht. Während Nicky im Oberschiff mit der Checkliste in der Hand den Abfahrtscheck absolviert, kümmere ich mich um den Motorraum. Es ist alles ok, bis auf den Keilriemen, der am letzten Faden hängt, die nächste Katastrophe!
Entnervt hole ich den Werkzeugkoffer und beginne zu schrauben. Wir haben zwei Lichtmaschinen und selbstverständlich ist jener Keilriemen kaputt, der nicht leicht zugänglich ist, eh klar. In der Kiste mit den Ersatzteilen sind gefühlt hunderte Keilriemen, aber keiner passt, auch das überrascht uns mittlerweile nicht mehr. Ich bin grantig, sehr grantig und verzweifelt obendrein. Hat sich das ganze Universum gegen uns verschworen? Ist diese schwimmende Blechbüchse wirklich unser Traumboot, oder doch nur der Reinfall des Jahrhunderts?
Manche Menschen reagieren in solchen Situationen mit Atemübungen, sagen Mantras auf oder beginnen zu weinen, ich habe hingegen eine andere Methode: Ich fluche. Ich fluche laut, unflätig und ordinär (Vielleicht hängt das mit dem slawischen Blut, das in meinen Adern fließt zusammen, oder mit Kroatien an sich. Hier gibt es unzählige Schimpfwörter und Flüche, die im Gegensatz zu ihren Pendants auf Deutsch nicht hauptsächlich anal/fäkal sind, sondern auch blumig alle Spielarten der fleischlichen Liebe, insbesondere der käuflichen und mit Mitgliedern der Parentalgeneration, miteinbeziehen). Beim Fluchen verringert sich einerseits der emotionale Druck, andererseits trägt man damit seine Verzweiflung und die Bitte nach Erlösung ins Universum, quasi Stoßgebet. Und wenn das laut genug ist, wird es auch erhört. Der Marinero eilt aufgrund meines Gezeters herbei, ich schildere ihm meine Lage und er mir den Weg zum Ersatzteilgeschäft. Also starte ich los, Johanna braucht Bewegung und begleitet mich. Der Herr im Shop ist sehr freundlich erkennt den Ernst der Lage, aber auch, dass es keinen passenden Keilriemen auf Lager gibt. Beherzt greift er zum Telefon und telefoniert seine Freunde in anderen Ersatzteileshops durch. Die gute Nachricht: Morgen in der Früh liefert sein Freund einen passenden Riemen, aber ich muss ihn bis spätestens 12:00 abholen, dann ist der Laden zu. Warum, frage ich verwundert, sperrt er am Freitag schon zu Mittag? Morgen ist Samstag, sagt er, und da sperrt er um Punkt 12. Johanna wird blass, muss sie doch am Samstagvormittag in Wien sein. Macht nichts, meint der Verkäufer, um die Ecke ist der Busbahnhof und es gibt sicherlich eine Verbindung. Und er hat recht. Wir kaufen ein Ticket, hasten zurück zum Boot, Johanna packt ihre sieben Sachen und dann bringen wir sie zum Busbahnhof.
Samstagvormittag. Wir holen den Keilriemen, der Einbau ist zu unserer höchsten Verwunderung komplett problemlos, der Motor springt sofort an, sensationell! Nicky steht am Steuer, ich bediene die Leinen, wir legen ab wie die echten Seebären. Es ist einfach nur schön!
Die Hafenausfahrt ist für Segelboote ein bisschen tricky, man sollte in der betonnten Fahrwasserlinie bleiben. Langsam tuckern wir aus dem Hafen und freuen uns auf Rovinj. Dann höre ich die Bilgepumpe pumpen.
Und gleich darauf pumpt sie wieder. Ich gehe in den Maschinenraum und betrachte das muntere Bächlein, das sich in den Bilgensumpf ergießt. Wasser im Boot muss immer gekostet werden. Ist es süß, dann ist alles gut. Ist es salzig hat man ein Problem. Es ist salzig.
Ich reiße die Bodenbretter aus den Verankerungen und lege die Welle mit der Stopfbuchse frei (für schiffstechnisch nicht so versierte: Bei einem Boot mit Wellenantrieb geht die Welle vom Getriebe durch den Schiffsrumpf zum Propeller. Der Durchlass durch den Rumpf ist das Stevenrohr, auf der Bootsinnenseite dichtet die Stopfbuchse die Welle zum Stevenrohr ab). Wie aus einer kleinen Quelle sprudelt fröhlich frisches Meerwasser aus der Stopfbuchse. Nicky empfängt die Kunde von einem weiteren drohenden Beinahe Untergang mit stoischer Ruhe. Wir drehen um, tuckern retour in den Hafen und nehmen eine Boje. Das Anlegemanöver klappt diesmal auf Anhieb.
Nach mehreren Versuchen erreichen wir Edi am Telefon und schildern die Lage. Er meint, es könnte an Verschmutzungen an der Dichtungsscheibe liegen, habe aber jetzt keine Zeit mehr, sei auch nicht mehr zu erreichen, er müsse in ein Seminar. Danke für die Hilfe.
In Ruhe versuchen wir die Lage zu sondieren: Dreht die Welle, sprudelt das Wasser. Steht die Welle, ist die Dichtung trocken. Segeln sollte also gut möglich sein. Aber nach so vielen Pannen wollen wir eher Richtung nach Hause. Es wird wieder nichts mit Rovinj. Als nächstes Ziel wird Umag ins Logbuch eingetragen.
Wir verlassen Novigrad und müssen sehr hart am Wind nach Norden kreuzen, die Wellen sind hoch und kurz. Auf dieser Etappe probieren wir alle Segel aus. Der Besan bringt sehr viel Ruhe in das Boot, wir müssen kaum steuern. Die Wellen lassen GYPSEA kalt, gemütlich und träge pflügt sie durch die See. Dieses Segeln bringt uns wieder Selbstvertrauen, Vertrauen in das Boot und wir verstehen den Slogan von Motiva „Ein Schiff wie eine Burg“.
Kurz vor Umag lassen wir den Anker fallen, um noch ein bisschen im Wasser zu planschen. Dann starten wir den Motor und fahren die letzten zwei Meilen in den Hafen. Erstaunlicher Weise ist die Buchse dicht, die Bilge bleibt trocken.
Am nächsten Tag mieten wir Fahrräder und besichtigen die nördliche Küste Istriens, genießen ein fabelhaftes Essen in der Pizzeria Teresa mit Blick über das Meer nach Piran und einige Sundowner in einer lauschigen Strandbar. Nach einer sehr ruhigen Nacht an der Boje verlegen wir uns an den Zoll Steg um auszuklarieren. Unsere letzte Etappe, zurück nach San Giorgio, liegt vor uns. Eine leichte Brise treibt uns ca. 2/3 der Strecke an, dann bricht sie zusammen. Wir rollen die Segel ein und lassen uns treiben, genießen die Sonne und ein Bad im Meer. Die letzte Strecke muss motort werden, erstens ist kein Wind und zweitens darf in der Lagune nicht ohne Motor gefahren werden.
Warum auch immer, jetzt zieht die blöde Stopfbuchse wieder Wasser. Gegen Abend legen wir wie die Profis in unsere Box in San Giorgio an.
Hier ein kurzes Resümee:
Wir hatten eine Recht stattliche Anzahl von Pannen:
- Loch im Rumpf
- Echo-Geber Undicht
- Windgeber kaputt
- Teakboden im Cockpit ist eine einzige Sauerei
- Ausfall des Autopiloten (das war ganz am Anfang mit Edi, davon haben wir gar nicht berichtet)
- Temperaturanzeige gibt Alarm
- Ausfall des Motors
- Auflaufen auf eine Sandbank
- Vermeintlicher Wassereinbruch in der Nacht
- Keilriemen beinahe gerissen, nur dadurch nicht den Bus verpasst
- Muring im Sturm gelöst
- Mit dem Bugkorb verfangen
- Echter Wassereinbruch während der Fahrt
- Rollgroß verklemmt
Das hat zwar Nerven gekostet und uns an den Rand des Zusammenbruchs geführt, aber wir haben alle dies Herausforderungen bewältigt bzw. mit Bordmitteln behoben.
Wir haben das Schiff, unsere Gypsea, als sehr verlässliches und sicheres Segelschiff kennen und schätzten gelernt. Sie segelt ruhig, geradlinig, ist viel weniger träge als erwartet, lässt sich gut steuern und gibt einem das Gefühl von Sicherheit.
Die vielen Pannen führen wir auf mangelnde Nutzung zurück. Es gibt auch einen Reparaturstau, den wir noch zu bewältigen haben. Von folgenden Dingen wissen wir bereits:
- der Generator gehört generalüberholt
- der Motor braucht ein intensives Service
- der Tauchkompressor ebenso
- einige Roststellen müssen saniert werden
- der Duschanschluss am Heck muss erneuert und abgedichtet werden
- einige Fenster müssen neu eingedichtet werden
- der Frischwasserverteiler und die Wasserfilter gehören ersetzt
- wir brauchen neue Vorsegel
- Welle und Stopfbuchse müssen ersetzt werden
- das Unterwasserschiff muss sandgestrahlt und ggf. saniert werden
- alle Bordventile sollen ersetzt werden
- Windgeber und Navigationselektronik müssen erneuert werden
- ein Batteriewächter gehört eingebaut
- die Tankanzeigen müssen saniert werden
- Ein Wassermacher soll eingebaut werden
Es werden sicherlich noch einige Dinge dazu kommen. Solaranlage, Windgenerator, Radar und Schiffselektrik sind gute Kandidaten. Nicht umsonst heißt es:
„Blauwassersegeln ist, wenn man sein Schiff an den schönsten Plätzen der Welt repariert“
Es ist und es bleibt abenteuerlich und Abenteuer haben wir schließlich auch gesucht. GYPSEA ist uns jedenfalls schon sehr ans Herz gewachsen.