Inge, meine äußerst liebenswerte und lebenslustige 88-jährige Tante, kommt mit ihrer Freundin Lisa (83 Jahre) zu Besuch. Tante Inge hat nämlich noch nie unser Boot besichtigt und ist dementsprechend neugierig. Seit unserer Abreise aus Österreich freuen wir uns auf dieses Ereignis. Wir haben für die beiden Damen schöne Hotelzimmer ganz in der Nähe gebucht und ein Auto gemietet, mit dem wir sie vom Flughafen Bari abholen. Nach einer kurzen Bari-Stadtrundfahrt geht es nach Taranto, gleich zu Roberto, unseren Lieblingspizzawirt.
Am nächsten Morgen holen wir die zwei reiselustigen Damen nach dem Frühstück ab und bringen sie auf unsere GYPSEA. Inge ist begeistert. Als ehemalige Motorbootskipperin überrascht sie das Platzangebot auf einer Segelyacht, die Größe unserer Pantry und der Kojen. Sie bewundert das schöne Holz, die solide Verarbeitung und die Großzügigkeit des hellen Decksalons, in dem wir einen sehr lustigen Vormittag kaffeetrinkend verbringen.
Da sie altersbedingt nicht mehr so fit auf den Füssen ist, geleiten wir sie sehr vorsichtig über die Basarella an Land. Dort, festen Boden unter den Füßen, verknöchelt sie sich plötzlich und stürzt mit einem Schmerzensschrei zu Boden. Nicky kann sie gerade noch ein bisschen auffangen, aber das Malheur ist schon passiert: Der Knöchel ist offensichtlich gebrochen, der Fuß komplett ausgerenkt.
Wir rufen nach Hilfe und nach einer Ambulanz. Das gesamte Marina-Team und anwesende Bootsmechaniker sind sofort zur Stelle, die Ambulanz ist in wenigen Minuten da. Mit Blaulicht geht es ins Spital. Obwohl alle Anwesenden äußerst hilfsbereit und nett sind, beginnt hier das Martyrium für meine liebe Tante Inge erst so richtig. Der Fuß wird in der Radiologie ohne Betäubung eingerenkt. Wie das Tante Inge ausgehalten hat weiß ich nicht, ich wäre sicherlich in Ohnmacht gefallen. Sie ist halt zäh, die gute Tante, Gott sei es gedankt.
Eine sofortige Operation ist notwendig, ein Fixateur, das ist so ein Gestell aus Metallstangen, muss am Gelenk montiert werden. Auch die Anästhesistin ist sehr nett, trifft allerdings beim Kreuzstich nicht gleich ins Ziel, wieder Extraschmerzen. Die OP verläuft gut.
Auf der Station sind auch alle sehr nett, Schwestern (Pfleger gibt es hier keine), ÄrztInnen, Patientinnen und Angehörige. Dafür wird kaum gepflegt. Um jeden Handgriff muss man betteln, sonst wirst du nicht gewaschen, verbunden, mit Schmerzmitteln versorgt,…. Dass eine offene Wunde am Fuß dabei übersehen wird, überrascht zwar nicht, wird aber noch Probleme verursachen.
Wir organisieren den Heimtransport für Tante Inge über den ÖAMTC. Nach 2 Nächten im Spital wird Tante Inge mit dem Krankentransporter nach Neapel gebracht, von dort geht es mit der AUA nach Wien, dann weiter ins UK Tulln. Begleitet wird sie von Nicky und einem diplomierten Pfleger. Der Transport dauert insgesamt fast 18 Stunden und ist dementsprechend anstrengend.
In Tulln soll Tante Inge nochmals operiert werden. Das geht aber nicht, da ist doch diese offene Wunde am Fuß. Dann verzögert sich die OP nochmals, zuerst gibt es einen Notfälle die vorgezogen werden müssen, dann sind keine Anästhesisten verfügbar. Die Ärzte bedauern das selbst zutiefst, aber was sollen sie machen?
Insgesamt wird es 14 Tage dauern, bis Tante Inge operiert wird. Heute geht es ihr den Umständen entsprechend gut und sie freut sich auf die Reha.
Das für mich erstaunlichste an der Sache ist, dass Tante Inge trotz entsetzlicher Schmerzen, langen Wartezeiten, etlichen Rückschlägen bei der Behandlung und auch Motivationskrisen ihren Humor und ihre Lebenslust nicht verliert. Ob ich das auch könnte? Ich werde mir jedenfalls ein großen Beispiel an ihr nehmen.