Mit Dalmatien ist das so eine Sache. Früher, als es noch Jugo war, bin ich oft mit der Familie hier gewesen. Ich erinnere mich an selbst angelegte Krebsgärten, vom Papa raufgetauchte Seegurken und Seesterne, selbst gefangene Krabben, vermeintliche Piraten und lange Wartezeiten auf Cevapcici in den staatlichen „Restaurants“, die wir uns mit dem fangen von Tausendfüßlern aus den Ritzen der Gartenmäuer verkürzt haben, bis unsere Finger nach dem Abwehrsekret dieser Tiere zu stinken anfingen und die Eltern gezetert haben (auf der Uni habe ich dann gelernt, dass es sich dabei um Schnurwürmer bzw. Julidae handelt, eine nach dem Bauplan sehr ursprüngliche Tausendfüßlerfamilie, bei der man anhand der dem Körper entlang laufenden Beinbewegungen sehr schön die Nervenerregung und Nervenleitgeschwindigkeit beobachten kann). Die großen Städte, insbesondere Split wurden mir als gefährliche und schmutzige Metropolen verkauft, wobei ich annehme, dass meine Mama mich lediglich davor abhalten wollte, selbständig Exkursionen in ebendiese zu unternehmen.
Jahrzehnte später kommen wir noch immer gerne in diese Gegend. Zadar, Sibenik, Trogir, Split und Makarska haben wir als wunderschöne, freundliche Städte kennengelernt, von gefährlich und schmutzig keine Spur. Aber so wie Weihnachten jedes Jahres regelmäßig kommt und man doch immer wieder darüber überrascht ist, so ist man von der jährlichen Preissteigerung doch auch immer wieder überrascht. Die Lernkurve bleibt flach.
Auch mit unserer Tochter Johanna (und natürlich auch mit Seppi, unserem Hund) haben wir hier die meisten Sommerurlaube verbracht, oft auf den Spuren meiner Kindheit. Über diese vielen Jahre hinweg haben wir interessante Menschen kennengelernt und Freundschaften geschlossen. Es hat sich ein Gefühl von Heimat eingestellt.
Und jetzt fahren wir, wenn alles so funktioniert wir wir das hoffen, für viele Jahre das letzte Mal durch Dalmatien. Lange Zeit zu segeln heißt immer wieder Abschied nehmen und so nehmen wir Abschied von dieser Gegend, seinen Menschen und unseren Freunden.
In Kastela bei Split wohnen Marija und Frane, die wir 2016 zum ersten Mal getroffen und in unser Herz geschlossen haben. Das kam so: Wir fuhren mit unserem Motorboot am Trailer von Wien nach Kastela, haben allerdings die falsche Autobahnausfahrt erwischt und sind über eine extrem steile und kurvige Bergstraße angereist, zuerst glühende und dann feststeckende Bremsen am Trailer inklusive. In der Marina Kastela hat dann nichts so funktioniert wie Wochen davor auf der Tullner Messe besprochen. Ein günstiger Parkplatz für Auto und Trailer war auch nicht wie versprochen zu haben. Bei der nervenzehrenden Suche nach einer Lösung unseres Problems hat man uns dann einen privaten Parkplatz empfohlen, bei dem ich komplett verschwitzt, dehydriert und am Ende meiner Kräfte angekommen bin. Ich läute also an der Eingangstüre, eine Frau macht auf, sieht mich in meinem Zustand, versorgt mich mit Wasser und was zum Essen. Und ja, sie habe Platz für unser Auto und den Trailer, Frane, ihr Mann wird bald kommen und dann wird alles gut. Und so war es auch. Frane, ein auf den ersten Blick hünenhafter, grobschlächtiger Paradekroate, ist unter seiner Oberfläche ein liebenswerter und feinfühliger Mann, mit viel Humor und liebe zu gegrillten Tieren. Außerdem wird er zu unserem ständigen Problemlöser in allen Bootsangelegenheiten, über die Jahre hinweg. Ein Besuch bei Marija und Frane ist deshalb für uns eine Selbstverständlichkeit wann immer wir in der Gegend sind.
Heuer haben die Beiden sogar Zeit für eine Bootstour mit uns. Wir segeln nach Milna, übernachten in einer Bucht, baden, grillen, hören Balkanmusik in allen Stilrichtungen und haben viel Spaß miteinander.
Den zweiten Stopp legen wir in der Tiha-Bucht in der Einfahrt zu Starigrad/Hvar ein. Hierher haben wir uns mit unserem ersten Motorboot bei für uns unerwarteter Bora geflüchtet, natürlich mit kaum Trinkwasser, nichts zum Essen und ohne Schlafsäcke. Aber wie fast immer gehen solche Abenteuer letztendlich gut aus: ein Grazer Rechtsanwalt mit ausgezeichneten Kontakten in die Bauwirtschaft und vielen Schmissen im Gesicht lädt uns auf seine Luxussegelyacht und spendiert Speis und Trank.
Und wir lernen Andro kennen, den Wirt von der Tiha Lounge.
In die Tiha Lounge kommen wir gerne, ist sie doch ein zauberhaftes Restaurant an einem herrlichen Platz. In der Corona Zeit waren wir auch hier, da war das Restaurant leider geschlossen. Dafür hatte Andro ausgiebig Zeit für seine Lieblingsbeschäftigung, ein ausführliches Quatscherl, wobei zu bemerken ist, dass wir keine gemeinsame Sprache sprechen. In der Früh ruderte er auf seinem alten Surfboard zu unserem Boot, bekam einen Kaffee und dann wurde in einem babylonischen Kauderwelsch unter Zuhilfenahme von allen Körperextremitäten geredet. Wir erfahren, dass er seinen Militärdienst auf Brioni verbrachte um als ausgezeichneter Schwimmer, Taucher und Fischer für Tito und seine Gäste Fische zu harpunieren. Später arbeite er viel und auch als Gastarbeiter in Italien. Seine große Leidenschaft bis heute ist jedoch die Kunst. Irgendwann kaufte er das Grundstück in der Tiha-Bucht, legte eigenhändig einen Garten an, baute das Restaurant auf und gestaltete den Strand. Seine Baustoffe bestanden in der Regel aus den Steinen und Holz, insbes. Schwemmholz, aus der Umgebung. Detailreich verwandelte er das wilde Grundstück in ein gepflegtes kleines Paradies. Heute führen seine Kinder das Restaurant, er empfängt jedoch noch immer die Gäste und hilft den Bootsfahrern beim Anlagen an den Bojen.
Auch heuer wird es ein netter und geselliger Abend. Andro schenkt uns zum Abschied eine eigens für uns angefertigte Bleistiftzeichnung von einem alten Segelschiff.
Als wir am nächsten Morgen die Bucht verlassen sendet Andro mit seinem Signalspiegel Lichtsignale, bis wir aus seinem Blickfeld entschwinden.
Der Wind bläst uns durch den Hvarski Kanal Richtung Vrboska bzw Jelsa. Auf der vorgelagerten Badeinsel Zezevo, damals ein FKK-Gebiet, habe ich als Kind meine bereits erwähnten Krebsgärten angelegt. Und eine Gruppe von Deutschen hat Papas Schlauchboot geklebt, was der Schuster in Jelsa nicht konnte. Wo die nackerten Deutschen alle Klebeutensilien hervorgezaubert haben, ist mir noch heute ein Rätsel.
Mit Johanna haben wir viele Urlaube am Campingplatz in Vrboska verbracht und wenn wir in der Gegend ein Boot gechartert haben, kamen wir auch immer für einen kurzen Besuch vorbei. Meistens waren auch unsere Freunde Carola und Willy aus Dortmund da. Diese beiden haben uns auch den Tipp mit der Konoba No Stres (sic) gegeben, das Lokal von Millivoj und seiner Familie in einer nahen Bucht direkt am Strand. Milli macht den besten gegrillten Fisch, das Gemüse kommt aus dem eigenen Garten, so wie auch das Ölivenöl, der Wein und der Traverica. Eine Flasche Traverica gibt er mir auch immer für meine Mama mit.
Die Begrüßung ist auch heuer wieder herzlich und der Fisch exzellent. Eine Nacht bleiben wir in der Bucht vor Anker, dann ziehen wir weiter.
Ein kurzer Besuch gilt auch noch dem Restaurant am Campingplatz. Auch hier werden wir begrüßt wie alte Freunde.
Vis gehört für uns zu den absoluten Highlights, aber nicht im Sommer. Die Bucht, in der wir ankern wollen, ist von über 100 Booten einer Yachtflottillie komplett verstopft. Mit viel Glück ergattern wir die letzte Boje im Hafen. So bleiben wir nur eine Nacht und frischen bei unseren Streifzügen durch den Ort alte Erinnerungen auf. Die Konoba in der Mala Travna auf der anderen Seite der Insel ist diese Woche leider geschlossen, wir brechen deshalb in den Morgenstunden nach Lastovo auf, zumindest glauben wir das. Beim Versuch das Großsegel zu setzen lernern wir (und das nicht zu ersten Mal), dass ein Rollsegel sorgfältig eingerollt werden muss, sofern man es auch wieder problemlos und ohne Verklemmungen wieder ausrollen möchte. Ich verbringe eine sehr gute halbe Stunde am Mast und übe mich im Disput mit dem verklemmten Segel, dann funktioniert aber wieder alles, bis auf den Wind, der bald einschläft.
Wir ändern die Route und steuern eine schöne Bucht bei Vela Luka/Korcula an. Das Ankermanöver und die Ausbringung der Landleine ist zwar aufwändiger als gedacht, funktioniert aber nach einigen herzhaften Flüchen. Unsere Ankernachbarn kommen aus Rogaska Slatina, haben in der Kuranstalt gearbeitet und besitzen einen Weingarten. Wir verbringen einen geselligen Abend mit Weinbegleitung, ich falle anschließend in einen komatösen Schlaf.
Am nächsten Morgen brechen wir auf Richtung Orebic und Dubrovnik, verlassen also das uns vertraute Gebiet. So viele Urlaube haben wir hier verbracht, so viele Erinnerungen haben sich tief in uns eingebrannt. Wir verneigen uns vor diesem phantastischen Segelrevier und nehmen Abschied auf unbestimmte Zeit.