Seit Wochen hängen überall in der Stadt Plakate, eine Show wird angekündigt: die Settimana Santa, die heilige Woche, die unserer Karwoche entspricht. Auf den Plakaten prangt ein Kapuzenmann,mit Dornenkrone und geschultertem Kreuz. Beim Autoteiletandler gegenüber vom Marinaeingang wird die Kirche und eine Prozession als Modell im Schaufenster nachgebaut. Neugierig fragen wir Leo, was es damit auf sich hat. Wir erfahren, dass alljährlich in einem großen Spektakel zwei Prozessionen durch die Stadt führen, dafür tausende Menschen in die Stadt strömen und der Verkehr komplett zusammenbricht. Da sind wir natürlich dabei.
Gründonnerstag am Vormittag wird die Altstadt komplett für den Verkehr gesperrt, nicht einmal Öffis fahren. Im Laufe des Tages ziehen Horden an Menschen in die Stadt, die engen Gassen sind komplett verstopft. Fernsehteams drücken sich durch die Menge, überall Kameras, Mikrofone, Scheinwerfer und Honoratoren, die sich in Szene setzen. Endlich um Mitternacht beginnt dann die erste Prozession: Vorneweg geht ein weiß gekleideter Kapuzenmann, barfuß in der Büßertracht. Die Kapuze mit den klitzekleinen Sehlöchern erinnert uns sofort an die Ku Klux Klan-Szene aus Django unchained. Quentin Tarantino hat übrigens italienische Vorfahren. Der Kapuzenmann schüttelt unentwegt eine Rassel, warum wissen wir auch nicht. Ihm folgen weitere Kapuzenmänner, einer mit Kreuz, dann eine Militärmusikkapelle, die unentwegt Trauermusik spielt. Hinter einem Kreuz mit den traditionellen Handwerkszeichen kommt der Höhepunkt, die Statue der trauernden Madonna. Sie wird von acht Männern auf den Schultern getragen, Dahinter folgt eine weitere Musikkapelle.
Nun darf man sich diese Prozession nicht so vorstellen, wie sie geordnet und über freie Straßen langsam dahinzieht. Nein, im Gegenteil. Die Gassen sind mit Menschen heillos verstopft, es grenzt an ein Wunder, dass sich da die Prozession durchquetschen kann, ohne dass es Verletzte gibt. Und die Prozession geht nicht, sie steht hauptsächlich. Für den Weg in die Kirche in der neuen Stadt, den wir täglich in ca. 20 Min zurücklegen, braucht die Prozession zwölf (!) Stunden.
So tapfer sind wir dann doch nicht. Gegen halb drei gehen wir schlafen, die Prozession zieht hingegen weiter, wir werden die tapferen Büßer, Träger und Musikanten am nächsten Morgen wiedersehen, wenn wir um 11:00 in unserem Cafe beim Frühstück sitzen. Der erste Kapuzenmann schüttelt noch immer seine Rassel.
Der Karfreitag bietet für uns zwei weitere Höhepunkte. Obwohl Atheist schlägt die starke katholische Prägung bei mir durch. Im ganzen Jahr schmecken Käsekrainer (hat uns übrigens die Tante Inge gebracht) und Bier nicht so gut wie an diesem Tag.
Am frühen Abend beginnt dann die zweite Prozession, die um ein vielfaches länger ist, es werden nämlich acht Statuen, die den Leidensweg Christi nachstellen, gefolgt von einer trauernden Madonna durch die Stadt getragen, und weil heuer ein Jubiläum ist, nicht den üblichen Weg, sondern in den Dom in die Altstadt. Das dauert dann 15 Stunden.
Wir bestaunen das Treiben auf der Brücke, die Altstadt und neue Stadt verbindet. Die Amerigo Vespucci, ein phantastisches Segelschiff und die alte Festung bieten dazu eine würdige Kulisse.
Wir erfahren, dass das Tragen der Statuen nicht nur eine Ehre, sondern auch ziemlich kostspielig ist. 20-30.000 Euro muss man hinblättern, damit man 12-15 Stunden lang sein eigenes Kreuz und seine Schultern malträtiert. Nicht per Statue wohlgemerkt, sonder per Träger und derer sind es acht pro Staue. Kein Wunder, dass diese eine traurige Miene aufsetzen. Man munkelt hinter vorgehaltener Hand, dass sich das nur die großen Gauner der Stadt leisten können und wollen, für die Kirche ist das jedenfalls ein riesiges Geschäft. Nur ein Schelm denkt dabei an modernen Ablasshandel.
Die Menschenmassen, die das Spektakel begleiten sind von Andacht wenig ergriffen, im Gegenteil. Die Mädels sind alle fesch und neckisch rausgeputzt, die Burschen geben die lässigen Ragazzi. Es wird an allen Ecken gekichert, gescherzt, geflirtet. Vor jeder Bar steht eine lange Schlange, die Drinks fließen in Strömen, dazu gibt es Snacks und Grillwürstel. Kirtag vom Feinsten.