Noch vor Sonnenaufgang verlassen wir Milos Richtung Peloponnes. Die Überfahrt wird weit weniger ruppig als befürchtet. Dafür kommen uns große Frachtschiffe bedrohlich in die Quere. Den Großteil der Strecke können wir schön segeln, nur zum Schluss muss Mr. Perkins gegen den Wind ein wenig mithelfen.
Unser Ziel heißt Gerakas, ein Ort in einem kleinen versteckten Fjord. Als wir am frühen Abend anlegen sind wir das einzige Segelboot im Ort und die Taverne hat offen. Es ist beinahe paradiesisch. Am nächsten Vormittag legt ein Katamaran neben uns am Pier an. Dagmar, Hans und Labradorhündin Emma aus Deutschland. Wir schließen augenblicklich mit Emma Freundschaft und damit sind wir auch bei Dagmar und Hans willkommen. Die nächsten Tage verbringen wir gerne zusammen.
Es treibt uns weiter nach Süden, allerdings nur eine Handvoll Meilen, nach Monemvasia. Das soll ganz nett sein, außerdem können wir dort auf den richtigen Wind zum runden von Kap Malea warten.
Typisches Griechenland, weiß getünchte Häuser mit blauen Türen und Dächern, umgeben von Olivenhainen – genau das ist zu unserem Erstaunen Monemvasia ganz und gar nicht. Von den Byzantinern gegründet liegt das kleine mittelalterliche Städtchen am Fuße eines Felsen vor der Küste, darüber thront eine riesige Zitadelle. Ausgestattet mit Zisternen und eigenen Feldern war die Zitadelle autark und galt lange Zeit als uneinnehmbar. Wie hier üblich wechselte auch Monemvasia, das zwar im Mittelalter meist byzantinisch war, häufig die Fronten, war mal venezianisch, osmanisch, dem Papst persönlich unterstellt oder in der Hand von Seeräubern. Im 19. Jhd. verlor Monemvasia die Bedeutung als wichtiger Seefahrerstützpunkt und begann zu verfallen, bis in den 1970ern nur noch knapp über 30 Menschen hier lebten. Seit den 1980ern wird Monemvasia wieder sehr geschmackvoll wieder aufgebaut. Heute präsentiert sich das Städtchen als belebte aber trotzdem authentische Touristenattraktion mit mittelalterlichem Flair, einfach bezaubernd. Ein alter Name ist übrigens Malvasy, der Malvasier-Wein stammt von hier.
Ca. 1 km entfernt über eine Landbrücke erreichbar befindet sich das moderne Monemvasia mit seinen vielen günstigen Tavernen, Einkaufsmöglichkeiten und mit der von der EU finanzierten Hafenanlage, die allerdings nicht offiziell als Marina in Betrieb genommen wurde und deshalb für uns kostenlos ist. Es lebe Griechenland! Wir legen am Pier längsseits an und verlieben uns augenblicklich in dieses attraktive Gesamtpaket. Statt ein bis maximal 2 Tage bleiben wir fast eine Woche.
Aber unser längerer Aufenthalt hat auch noch einen anderen Grund: Mit den Kykladen haben wir auch die Gemeinde der Chartersegler verlassen, es begegnen uns nur noch Eignerschiffe. Während die Charterer meist abgeschlossene Gruppen sind, die mit Dir kaum kommunizieren, kommst Du mit den Crews der Eignerboote sehr schnell ins Gespräch. Gegenseitige Hilfe beim Anlegen oder bei sonstigen Problemen ist selbstverständlich. Und wenn keine Hilfe benötigt wird, kommt man trotzdem auf ein Quatscherl vorbei. Wir kommen endlich in der Seglercommunity an, aber das wissen wir zu diesem Zeitpunkt noch nicht.
Kaum ist GYPSEA fix vertäut lachen uns zwei freundliche Gesichter an. Pauline aus Irland und Robert aus den USA haben uns bei der Einfahrt beobachtet und waren von unserem Schifferl begeistert. Mit ihren rostigen Klapprädern sind sie gleich zu uns gedüst um uns Hallo zu sagen. So eine Ansage schreit förmlich nach einer Runde Mythos und der Abend wird sehr kurzweilig. Pauline und Robert haben beide eine lange Abenteuer- und Segelvorgeschichte, seit zwei Jahren segeln Sie gemeinsam auf einem Katamaran durch die Welt. Wir verstehen uns auf Anhieb sehr gut, gemeinsam erkunden wir die Umgebung samt Tavernen.
Wir haben häufig davon gelesen, jetzt trifft es uns: Beim Langfahrtsegeln lernt man viele phantastische Menschen kennen und schätzen. Es sind diese Begegnungen mit Menschen, die das Reisen so wunderbar bereichernd und unvergesslich machen. Aber auf jede Begegnung folgt ein Abschied, die Chance, dass man sich wieder trifft ist sehr gering. Pauline und Robert wollen Richtung Winterquartier, wir drücken einander fest und herzlich und fühlen diesen Schmerz in der Seele.
Ein weiteres Segelboot legt an. Diesmal bin ich es, der das Boot bewundern kommt, ist es doch eine Sunbeam 44 aus österreichischer Produktion. Kerstin und Peter aus Karlsruhe haben ihr Architekturbüro verkauft und segeln seit 3 Jahren auf und mit ihrer SMILLA, hauptsächlich in Griechenland.
Es ist wieder so eine Begegnung, die Spuren hinterlässt. Es ist, wie wenn wir uns seit Jahrzehnten kennen würden. Und interessant, unsere Leben sind in vielerlei Hinsicht parallel verlaufen, wir haben ähnliche Erfahrungen gemacht, ähnliches erlebt, sind ähnliche Entwicklungsschritte gegangen.
Da wir aus dem Quatschen kaum rauskommen beschließen wir, die nächsten Etappen gemeinsam zu Segeln.
Herausforderung Nr.1 ist das Kap Malea, von deutschen Seglerfreunden auch Kap Arschloch genannt. Malea bedeutet übrigens Lärm und dieses Kap ist aufgrund seiner unberechenbarer Stürme über Jahrhunderte hinweg ein Grund für Segelalbträume. Hier wurde Odysseus auf dem Rückweg in seine Heimat Ithaka von einem Sturm überrascht und ins Land der Lotosesser (wo immer das auch sein mag ist nicht ganz Gewiss) verschlagen. Zu seiner deutschen Bezeichnung kam das Kap bei einem gescheiterten Umrundungsversuch, ein leichter Gegenwind wurde zum unbezwingbaren Orkan.
Durch diese Storys gewarnt, warten wir auf das richtige Wetterfenster, was uns aber dann doch nicht ganz gelingt. Statt wenig Wind von achtern (hinten) haben wir gar keinen, dafür ist das Meer gnädig. Unter Motor erreichen wir die vielfach gepriesene Insel Elafonisos. Mit seinem karibisch anmutenden Strand Paralia Simos. Naja, der Strand ist schon sehr schön und die Landschaft rundherum auch, aber wenn die Karibik nicht mehr hergibt, zahlt sich die Fahrt über den Atlantik wirklich nicht aus. Trotzdem genießen wir die Zeit, zumal die SMILLA-Crew ja auch da ist.
Dann beginnt es zu blasen und der Wetterbericht verheißt nichts Gutes: der Meltemi soll bis zu uns kommen, 35 kn Wind vor Anker sind zwar gut machbar, da hatten wir schon weit mehr, aber sicherlich nicht lustig. Wir brechen also auf, um nicht zu viel Wind abzubekommen um eine Stunde früher als die SMILLA, safty first! Es kommt wie es kommen muss, uns geht der Wind aus und wir motoren bei Sonnenuntergang um Kap Tenaro, das südlichste Kap am Peloponnes. Die Smillas hingegen können die gesamte Strecke segeln. Außerdem kennen sie direkt hinter dem Kap eine Ankerbucht, tricky zum anfahren, starke Fallböen wahrscheinlich, aber sie kennen die Gegebenheiten. Inzwischen ist es tiefe Nacht. Der Vollmond leuchtet zwar hell am Himmel, aber auf ein schwieriges nächtliches Ankermanöver auf unsicherem Grund haben wir wirklich keine Lust. Wir nutzen die Flaute um Diesel zu verbrauchen, immerhin wartet die Dirou- Bucht auf uns: super Ankergrund, auch in der Nacht gut anfahrbar (sagt Navily), eindrucksvoller Strand, Tropfsteinhöhlen inklusive und wegen diesen wollen wir dort hin. Allerdings blasen uns in der engen Buchteinfahrt kräftige Fallböen entgegen, sodass wir in die nächste Bucht ausweichen, die noch bessere Ankerbedingungen bietet.
Diese Entscheidung stellt sich als absolut richtig heraus. Um Mitternacht fällt der Anker und gräbt sich sofort tief in den Sand ein, trotz Böen liegen wir sicher. In den frühen Morgenstunden, wir sitzen gerade im Cockpit beim ersten Kaffee, sehen wir ein Segelschiff um die Ecke in die Bucht biegen, SMILLA.
Der Wind hat Kerstin und Peter aus ihrer Ankerbucht schon sehr zeitig vertrieben. Vor der angepeilten Dirou-Bucht stand so eine Welle, dass ein Einfahren keine Option war. Jetzt schwojen sie friedlich neben uns.
Die Boote sind zwar sicher am Anker, aber es bläst so heftig von den Bergen, dass wir nur morgens und abends, wenn der Wind nachlässt, die Boote verlassen. An einen Besuch der Tropfsteinhöhlen ist nicht zu denken. Mit unseren Booten wollen wir nicht hin, Taxi ist unverschämt teuer, Öffis gibt es keine, Rent a Car auch nicht. Also sitzen wir die ganze Zeit beieinander, reden, erzählen, diskutieren und genießen die lokale Gastronomie. Tage später werden wir erfahren, dass die Höhlen ohnehin gesperrt waren, Glück muss man halt haben.
Sehr untypisch für diese Jahreszeit tobt in der Ägäis der Meltemi, die Ausläufer bekommen wir selbst an der Westseite des 2. Peloponnesfingers mit, jeden Tag mehr. Schluss mit dem Geschaukel am Anker, wir brechen auf. In den frühen Morgenstunden lichten wir den Anker, 30 bis 35 kn Wind, diesmal von achtern, füllen die Genua. Mit 6 bis 7,5 kn durchpflügen wir die durchaus hohen Wellen. Jetzt verstehen wir, warum Fahrtensegler so sehr achterlichen Wind lieben, es ist herrlich. Rund um Dich braust das Meer, aber Du gleitest sanft dahin. GYPSEA ist in ihrem Element, für solche Bedingungen wurde sie gemacht. Der lange Kiel gibt ihr eine ungeheure Stabilität und Laufruhe, sind die Segel, also heute nur die Genua richtig getrimmt, ist das Ruder nur Beiwerk, GYPSEA folgt ihrem Kurs wie auf Schienen.
Kurz vor Pylos nehmen wir das Großsegel dazu, dann noch den Besan. Unter Vollbeseglung brausen wir in die Bucht von Pylos. Eigentlich wollen wir am Stadtkai festmachen, aber dort liegt ein großes Kriegsschiff und das kam so:
In der Bucht von Pylos, auch als Bucht von Navarino bekannt, fand 1827 eine der größten Seeschlachten im Mittelmeer statt. Engländer, Franzosen und Russen versenkten in einer spektakulären Aktion die gesamte Flotte der Osmanen, die in weiterer Folge aus Griechenland komplett abzogen. Schätzungen zufolge fanden dabei 3500 Männer den Tod, 3000 davon Muslime. So etwas muss natürlich gefeiert werden und zwar jedes Jahr. Die NAVARINO, hochgerüstete griechische Fregatte, liegt deshalb im Hafen und kann besichtigt werden. Eine zarte junge Frau führt uns über das Schiff. Es stellt sich heraus, dass, wenn sie gerade keine Leute über das Schiff führt, sie Spezialistin im Aufspüren von Fluggeräten ist und am Abzug der gefährlichsten Waffe an Bord sitzt. Genaueres darf sie uns nicht erzählen. In Anbetracht ihrer Gefährlichkeit benehmen wir uns anständig, da will man keinen schlechten Eindruck hinterlassen. Obwohl sie ist schon ein bisschen irritiert, dass uns die Winschen, Ketten, Anker, Seile, Karabiner mehr interessieren als die Kanonen, wir fühlen uns halt beim Anblick dieser dicken Dinger wie Gulliver bei den Riesen.
Am Abend gibt es ein Spektakel im Hafen, zuerst Ansprachen diverser Politiker, dann wird die Schlacht nachgestellt. Alles wirkt so wie bei einer engagierten Vorstellung der 4. Klasse Volksschule. Aber zum Schluss wird ein Schiff (natürlich osmanisch) in Brand gesteckt und es gibt ein wirklich spektakuläres Feuerwerk. Dann ist der Spuk vorbei und wir können endlich schlafen gehen.
Im Sommer 2010 waren wir schon einmal hier. Es war der letzte Urlaub mit unserem ersten Wohnmobil, dem Julius. Wir schwelgen in Erinnerungen. So wie damals erklimmen wir den Sphaktria Felsen am Buchteingang, das Kastell Palaiokastro, die Höhle des Nestor und die Ochsenbauchbucht.
Nach einigen Tagen verlassen wir diesen gastlichen Ort, es geht weiter nordwärts. Wir segeln entlang der landschaftlich sehr schönen Küste, legen einen Übernachtungsstopp ein (mit selbstgemachten Calamari fritti, hmmm) und erreichen am darauffolgenden Abend Katakolon an der W-Küste des Peloponnes. Es sei angemerkt, es ist Freitag am späten Nachmittag, am Montag ist der Griechische Nationalfeiertag, ganz Griechenland ist in Feierstimmung bzw. auf Urlaub.
Wir haben unsere Segel bereits gerefft und fahren unter Motor in die Ankerbucht, da erreicht uns von der noch aufgetakelten SMILLA ein nervöser Funkspruch: Der Motor springt nicht an, die Starterbatterie dürfte komplett leer sein. Da die Ankerwinsch ebenfalls von dieser Batterie gespeist wird, ist an ein Ankermanöver nicht zu denken. Kein Motor, kein Anker, das ist der Supergau!
Noch vor wenigen Wochen hätte so ein Zwischenfall, wäre er uns passiert, zum sofortigen Nervenzusammenbruch inklusive Panikattacke geführt. Doch die SMILLA Crew ist abgebrüht, auch wir haben dazu gelernt. Erstens gibt es immer einen Ausweg und am Ende wird alles gut, zweitens sind wir in Griechenland.
Wir vereinbaren per Funk, dass die SMILLA unter gereffter Fock in der Bucht Runden dreht, wir ankern inzwischen, lassen das Dinghi zu Wasser und wollen damit SMILLA in den nahen Hafen schleppen. Inzwischen hat Kerstin Navily (so eine Segler-App mit Anker- und vielen anderen wertvollen Tipps) durchforstet und die Telefonnummer von Harry gefunden. Er ist der inoffizielle Hafenmeister und als echter Segler immer hilfsbereit. Im zivilen Leben ist er Autohändler und -vermieter, da hat er doch glatt eine geladene Autobatterie im Büro rumstehen. 15 Minuten später steht er winkend an der Hafeneinfahrt. Anstatt SMILLA ins Schlepptau zu nehmen werden wir zum Batterietransporteur. Die Starthilfe gelingt, SMILLA kann unter eigener Kraft in den Hafen tuckern, wo bereits Harry einen Liegeplatz organisiert hat. Nach einer raschen Fehlerdiagnose werden Batterie und Lichtmaschine ausgebaut. Dann klemmt sich Harry ans Telefon, organisiert die Reparatur der Lichtmaschine und eine neue Batterie für den nächsten Tag. Anschließend gehen wir gemeinsam Essen und seine Frau bringt einen Mietwagen für uns, denn Nicky und ich wollen nach Olympia. Wohlgemerkt, drei Stunden zuvor hatten wir von Harrys Existenz keine Ahnung und ganz Griechenland ist wegen Nationalfeiertag und langem Wochenende auf Urlaub. Wir lieben Griechenland uns seine phantastischen Menschen!
Auch Olympia haben wir schon vor einigen Jahren besichtigt. Obwohl beeindruckend ist diese archäologische Stätte in erster Linie eine Ansammlung von Steinhaufen. Heute wartet allerdings eine neue Attraktion auf uns. Über eine Virtual Reality-Brille wird eine 3d-Animation eingespielt, in der das antike Olympia rekonstruiert präsentiert wird. Da wird den alten Steinen Leben eingehaucht und man bekommt eine sehr gute Vorstellung über die Anlage und die Olympischen Spiele von vor über 2500 Jahren.
Zwei Tage später ist es wieder soweit, die Zeit des Abschieds ist da. Schweren Herzens verabschieden wir uns von Kerstin und Peter. Wir wollen weiter nach Lefkas bzw Preveza, um dort auf einen passenden Wind für den Sprung nach Italien zu warten.
Unser Weg führt uns nach Kyllini, das keiner weiteren Erwähnung würdig ist. Immerhin fangen wir unseren 2. Fisch, diesmal viel kleiner als der Tuna vor Korinth, lediglich eine Mahlzeit für zwei, aber sehr gschmackig. Nach einer ruhigen Nacht vor Anker verlassen wir schließlich den Peloponnes.