Johanna ist eine Woche bei uns. zum Segeln ist es zu kalt, Taranto haben wir schon gesehen, also machen wir einen Familienausflug. Johanna hat vor vielen Jahren ein Praktikum in Sorent gemacht und will alte Erinnerungen auffrischen, wir wollen unbedingt nach Pompei, das lässt sich doch trefflich verbinden.
Die Übergabe des Leihautos ist, wie hier offensichtlich üblich, völlig unkompliziert, dafür etwas langwierig und ohne dem Konsum von einigen Espressi nicht möglich. Alles kein Problem für uns, wir haben uns da schon ziemlich assimiliert.
Wir bekommen einen MG. Bei MG denke ich sofort an einen schnittigen Roadster, aber Fehlanzeige. Wir bekommen einen SUV aus mittlerweile chinesischer Produktion. Also wenn die Chinesen da nicht besser werden, braucht sich die europäische Automobilbranche keine großen Sorgen machen. Unser Vehikel ist zwar sehr geräumig, insbesondere im Fond, der Kofferraum jedoch vergleichsweise klein, das Fahrgestell unterirdisch, die Bedienelemente schlecht verarbeitet, der Touchscreen und das Menüsystem unergonomisch, das Hybridsystem minderwertig, dafür säuft er wie ein Mercedes der 70er Jahre. Uns ist das aber alles wurscht, für die paar Tage reicht es und der Kübel war vergleichsweise billig.
Also ab nach Pompei, wie es sich für Reisende gehört über die Bundesstraße, möglichst wenig Autobahn. Wir staunen nicht schlecht, fahren wir doch durch noch unbelaubte Wälder, sehen Schnee auf den Bergspitzen und schalten kräftig die Heizung ein, damit haben wir nicht gerechnet.
Pompei, was für ein Eindruck! Aus archäologischer Sicht eine Sensation, an das Grauen, dass damals 79 n. Chr. über die Bevölkerung gekommen ist möchte man lieber nicht denken, das unfassbare Leid, die Verzweiflung, die Angst, die Schmerzen.
Beim Schlendern durch die über 2000 Jahre alten Gassen komme ich mir nicht fremd vor, vieles wirkt bekannt und vertraut. Die Struktur der rasterförmig angelegten Gassen, die Einteilung in Geschäftsviertel und Wohngegenden, die ehemaligen Fast Food-Tempel und Tavernen, die Beschriftung der Geschäftslokale, Zebrastreifen, Bordsteine, die großzügigen Plätze, die engen und unfreundlich wirkenden Seitengassen. In den Wohnhäusern wurden die Wände bemalt, Stil und Motive lassen mich an Bilder aus der Renaissance denken. Vieles wirkt vertraut, als ob es aus unserer Zeitepoche stammte und nicht aus einer lang vergangenen Zeit. Unglaublich, wie sehr sich die damalige und die heutige Zivilisation ähneln. Noch andere Aspekte lassen mich nachdenklich werden:
– Die vielgepriesene Demokratie war keine, sondern eine Oligarchie der Reichen. Vieles erinnert an ein faschistisches Regime.
– Mit benachbarten Städten bzw. Provinzen wurde gerne intensiv gestritten und bisweilen Krieg geführt, Mikronationalismus vom feinsten.
– Der Audioguide spricht von der freien und tabulosen Liebe in Pompei. Die Touristen strömen in Massen in die Lupinarien (Bordelle) und bestaunen diese und die freizügigen Darstellungen der angepriesenen Dienstleistungen. Gearbeitet haben dort Sklavinnen wie am Fließband, Zuhälter kassierten das Geld. Von Freiwilligkeit keine Spur, das war Menschenhandel, Zwangsprostitution und Ausbeutung in Höchstform.
– Die Darstellung von überdimensionalen erigierten Penissen galt offensichtlich nicht als anstößig.
– Im Vergleich zu heutigen Ortschaften gab es deutlich weniger Sakralbauten.
– Der Grad an Organisation und Logistik muss bemerkenswert hoch gewesen sein, so eine Stadt zu versorgen war sicherlich keine Kleinigkeit.Wie praktisch, dass man da billige Sklaven hatte.
– Die Wohnhäuser der wohlhabenden Bürger sind beeindruckend. Trotzdem muss es im Winter verdammt kalt gewesen sein. Die Schlafräume waren außerdem beengend klein.
– Stile waren kaum Moden unterworfen und wurden viele Jahrzehnte fast unverändert beibehalten.
Nach einem Tag verlassen wir Pompei und befahren die Amalfiküste. Schon jetzt, außerhalb der Saison, sind die Straßen hoffnungslos verstopft, im Sommer muss das erst ein Spaß sein. Sorent empfängt uns freundlich, ist aber übertouristisiert. Gerne verlassen wir rasch die Stadt und wandern durch Olivenhaine und Zironengärten zum Capo die Sorento. Johanna kennt einen Greissler, der phantastische Paninis macht, da müssen wir selbstverständlich ein Päuschen einlegen. Die Wanderung ist landschaftlich sehr beeindruckend und gemütlich, trotzdem brauchen wir zum Abschluss noch eine Stärkung in einem kleinen Lokal am Hafen von Sorent. Im Gastraum hängen Bilder von Sophia Loren, auch sie hat hier gespeist.
Die Amalfitana, so heißt hier die Küstenstraße, über Positano und Amalfi nach Salerno ist eng, kurvenreich, mühsam zu fahren, aber dafür wunderschön, darum auch weltberühmt. Wann immer es geht bleiben wir stehen und genießen die Aussicht. Da kommen die Verkehrsstaus eigentlich gar nicht ungelegen, da hat man mehr Zeit zum Schauen.
Es ist schon Mitten in der Nacht, als wir in Bari ankommen. Am nächsten Morgen frühstücken wir noch gemütlich in der Stadt, dann bringen wir Johanna zum Flughafen.