Rovinj, wir kommen

Unser nächstes Ziel sollte Rovinj sein. Schon seit Jahren will ich einmal in der Bucht vor der Stadt ankern und die Nacht mit Blick einerseits auf die Stadt und andererseits auf den Campingplatz Porton Biondi genießen. 1995 haben Nicky und ich uns hier auf einem meeresbiologischen Praktikum unserer Uni kennen und lieben gelernt. Seitdem zieht es uns immer wieder hierher, aber das ist eine andere Geschichte….

Also Rovinj. Der Wetterbericht ist komisch, der Himmel ist es auch und der Wind will uns heute gar nicht. Warum was riskieren, bleiben wir doch lieber eine Nacht in Novigrad. Der Himmel wird zunehmend düster, wir erreichen die Hafeneinfahrt und schnappen uns eine Boje. Dabei erreichen uns folgende Erkenntnisse: Das Freibord ist verdammt hoch um eine Boje zu erwischen. Der ausziehbare Bootshaken gehört gesichert, sonst verliert man den Vorderteil. Überhaupt tendieren Plastkteile nach jahrelanger intensiver UV-Bestrahlung zum Zerbröseln, insbesondere wenn sie am Bootshaken sind und dringend gebraucht werden. Fender sollten immer festgelascht sein.

Immerhin haben wir es geschafft, wir liegen an der Boje und sogleich fängt es auch ganz brisant an zu blasen. Große Wellen schlagen in das Hafenbecken. Boote, die nach uns gekommen sind, kämpfen mit den Bojen, bzw. müssen wieder raus auf das Meer, da ein Anlegen unmöglich ist. Eine längsseits festgemachte Segelyacht schlägt unablässig an die Kaimauer, bei einer anderen zerstört der Sturm das Vorsegel. Auf Kanal 16 kommt ein Mayday, wir werden Ohrenzeugen einer dramatischen Rettungsaktion.

Der Spuk dauert rund eine halbe Stunde, dann ist wieder alles ruhig. Ein überaus lässiger Marinero rät, uns an die Mole zu verlegen. In der Nacht kommt ein noch viel stärkerer Wind und die Boje ist für unser Schiff nicht ausreichen dimensioniert. Also tuckern wir an die Mole am Wellenbrecher wo der letzte Liegeplatz auf uns wartet. Der Sturm soll von Westen über uns ziehen. Damit unsere Nase im Wind steht, legen wir nicht wie üblich römisch-katholisch, sondern Bug voran an, verzurren uns mit 2 Murings, 2 Vorleinen und 2 Vorsprings. Das ist 120% sicher, jetzt kann uns nichts mehr passieren. Ich spanne die Hängematte zwischen Mast und Vorstag, genieße ein Bier und den Abend. Dann kommt die Nacht und der Sturm.

Draußen pfeifen die Böen über uns hinweg. Unsere schwere Gypsea bewegt sich sanft in der Dünung und gibt uns das Gefühl der vollkommenen Geborgenheit. Tief in ihrem Bauch liegen wir eingekuschelt in den Kojen und schlafen rasch ein.

Aber auch diese Nacht weckt mich ein Geräusch, diesmal ist es ein leises Knarzen. Gewarnt von den Erlebnissen der letzten Nacht werfe ich nicht gleich die Nerven weg, sondern schleiche mich an Deck und checke erstmal die Lage. Der Wind hat gedreht und bläst orkanartig von achtern in unser Cockpit. Die Backbordmuring hat sich gelöst, der Wind konnte uns dadurch um 45° drehen und an einen Vorsprung der Kaimauer drücken. Dort scheuert Gypsea an den Steinen was ziemlich knarzt. Ich versuche Nicky sanft zu wecken, was ziemlich misslingt. An Deck spannen wir eine Leine von der hinteren Winsch an Land und ziehen uns in die richtige Position. Damit aber nicht genug: Am Kai sind Pfosten in den Boden eingelassen, an denen Absperrketten befestigt werden können. Als das Boot lose an den Leinen und 45° gedreht lag, hat eine Welle den Bug Korb über so einen Pfosten gehoben. Jetzt, wieder gerade gedreht, ist der Bug Korb dort fix verhakt. Außerdem bläst der Wind vom Land und somit das Wasser aus dem Hafen. Der Wasserspiegel fällt merklich, das Boot steht im Bezug zum Kai immer tiefer, wir sind nachhaltig gefangen, was andererseits den Vorteil hat, dass wir vorne absolut stabil und fix befestigt sind.

In den Morgenstunden lässt der Wind nach, der Wasserspiegel steigt wieder, bald wird der Bug Korb über den Pfosten gehoben und wir frei werden. Weit gefehlt, so eine blöde Öse zum Kette einhängen blockiert den Weg vom Bug Korb über den Pfosten. Wir grübeln lange nach möglichen Lösungen für unser Problem, dann nehme ich die Flex und schneide die Öse ab. Jetzt sind wir wirklich frei.

Am Vormittag kommt der Marinero, begutachtet den Schaden, erkundigt sich nach unserem Wohl, meint, dass Gott sei Dank nichts passiert sei und wünscht uns eine sichere Weiterfahrt. Viele Wochen später werde ich erfahren, dass in dieser Nacht eine sehr ungewöhnliche Sturm- und Gewitterfront über Europa zog, die eine Spur der Verwüstung hinterließ. Es gab zahlreiche Todesopfer, etliche Schiffe sanken oder wurden an Land gespült, obwohl sie in sichern Ankerbuchten lagen, ganze Wälder wurden flachgelegt.

Die Erkenntnisse dieser Nacht: Lege niemals Bug voran an, denn wenn etwas passiert helfen dir weder Motor noch Bugstrahlruder. Es ist wundervoll ein Stahlboot zu haben, die Kollision mit der Kaimauer hat auf der Scheuerleiste lediglich einen Kratzer hinterlassen. Ich liebe die elektrischen Winschen. Es ist absolut fabelhaft 220V an Bord zu haben und Elektrowerkzeuge. Die Flex ist in vielen Lebenssituationen dein bester Freund.

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