Kleine, eher dunkelhäutige Menschen, Lärm, Dreck, Kriminalität gepaart mit Armut, Mafia. Diese Stereotypen kommen einem sofort in den Sinn, wenn man an Sizilien denkt. Ich nehme es gleich vorweg, so haben wir Sizilien nicht kennengelernt, ganz im Gegenteil.

Es ist der 24. April, zeitig in der Früh, als wir die Leinen lösen, ein letztes Mal Taranto winken und aus dem Hafen tuckern. 46 Stunden, einen nächtlichen Besuch von der Guardia Costiera, ungezählten Segelwechsel und zig Motorstunden später kommen wir in Aci Trezza auf Sizilien an. Wir wären schon 4 Stunden eher dagewesen, aber mitten in der stockdunklen Nacht wollen wir nicht in den engen Hafen einfahren, weshalb wir uns einige Meilen vor der Hafeneinfahrt einfach haben treiben lassen. Vor dem Hafen liegen nämlich riesige Felsen im Wasser, die einst der geblendete Zyklop Odysseus nachgeworfen hat. Bei Sonnenaufgang tuckern wir in den engen Hafen um den einzigen Platz der öffentlichen Mole, der noch dazu gratis ist, zu belegen.

Gregor hat uns den Tipp mit Aci Trezza gegeben, seiner Meinung nach ein typisch sizilianischer Fischerort, der noch nicht gänzlich durch den Tourismus zerstört ist. Gregor, Du hast eindeutig recht, vielen Dank für diesen wertvollen Tip. Aci Trezza ist zumindest in der Vorsaison ein verschlafenes Nest mit gemütlichen Einwohnern. An der Mole treffen sich schon bei Sonnenaufgang die alten Männer und fischen den ganzen Tag. Wir sollen uns vor Dieben in Acht nehmen, die unsere Fahrräder klauen könnten, raten sie uns, aber sie werden eh den ganzen Tag da sein und aufpassen, versichern sie. Wir haben also unsere persönlichen golden Boatboys.

Mit unseren Rädern fahren wir in das nahe Catania, was für eine quirlige Stadt! Im krassen Gegensatz zu Wien nehmen die Autofahrer hier wirklich Rücksicht auf uns Fahrradfahrer.

In der Stadt endlich angekommen, können wir auf den ersten Blick erkennen, dass die Normannen, die in Sizilien vor rund 1000 Jahren herrschten, deutlich sichtbare Spuren hinterlassen haben. Wie zum Beispiel die Kathedrale von Catania, ein vergleichsweise schlichter, dennoch prächtiger Bau, in dem sich auch die Gräber wichtiger normannischer Herrscher befinden. Die Normannen schufen ein multikulturelles Königreich mit bemerkenswerter Toleranz und kultureller Blüte. Durch Erbschaft fiel Sizilien an die Staufer. Vor allem Friedrich II machte Sizilien zu einem der am modernsten verwalteten Staaten Europas mit hohem Bildungs- und Rechtsniveau. Beide Dynastien prägten Sizilien als Brücke zwischen Orient und Okzident, ein Erbe, das noch heute vielfach in Kultur und Architektur sichtbar ist.

In unmittelbarer Nähe zur Kathedrale befindet sich der berühmte Fischmarkt mit seinem reichhaltigen Streetfood Angebot. Wir schlendern durch enge Gassen mit morbiden Charme und großzügig angelegten Boulevards. Von den vielen bunten Märkten mit ihrem vielfältigen Warenangebot sind wir wahrlich beeindruckt.

Unser Schifferl liegt sicher an der Mole in Aci Trezza, gut bewacht von unseren klapprigen Fischern, da können wir beruhigt auf den Ätna. Man kann eine Tour buchen, oder den öffentlichen Bus nehmen, Kostenunterschied je nach gebuchten Paket zwischen €50,- und €100,- pro Person. Wir beschließen, dass wir weder Helme noch Leihbergschuhe benötigen und nehmen den Bus bis zum höchsten per Straße erreichbaren Punkt Siziliens auf über 2000m. Leider gibt es statt Aussicht und Weitblick nur dichte Nebelschwaden. Von hier könnte man mit der Seilbahn Richtung Gipfel fahren, was uns aber nicht als erstrebenswert erscheint. Erstens darf man nicht zum Hauptkrater, weil der gerade besonders aktiv ist und zweitens kann man in der dichten Wolkendecke sowieso kaum was sehen. Wir erklimmen stattdessen zwei Nebenkrater und steigen dann bis unterhalb der Wolkenschicht ab. Gute Idee, so entkommen wir dem Rummel auf den Hauptrouten und können die Natur genießen. Die mächtigen erkalteten Lavaströme geben ein beeindruckendes Zeugnis von der Gestaltungs- bzw Zerstörungskraft des Vulkans ab.

Weiter wollen wir durch die Straße von Messina, wie einst Odysseus, vorbei an Skylla und Charybdis. Vor diesen beiden fürchte ich mich wenig, habe ich doch meinen eigenen Drachen dabei.Wind und Strömung sind da doch etwas komplizierter. Am besten fährt man durch die Straße, wenn Fahrtrichtung, Strömung und Wind in die gleiche Richtung gehen. Die Strömung ändert alle paar Stunden die Richtung, der Wind hingegen bläst natürlich konstant von Norden, uns also genau auf die Nase, eh klar. Mutig kreuzen wir auf, stampfen mit beträchtlicher Krängung gegen die Wellen. Als der Wind weiter zunimmt geben wir auf und verbringen lieber die Nacht nach einem guten Essen in einer geschützten Marina. Auch am nächsten Tag schaffen wir es nicht durch die Straße, dafür sehen wir in den Morgenstunden einen neuen, leuchtend roten Lavastrom den Ätna herunterfließen und kommen immerhin bis nach Messina, wo wir ebenfalls die Nacht in einer Marina verbringen, an einem herrlich schaukelnden Schwimmsteg. Aber beim dritten Anlauf klappt es, wir pflutschen förmlich durch die Meeresenge.

Der Wind trägt uns zwar nicht zum veranschlagten Ziel, sondern gleich bis zum Stromboli, der weitest entfernten Liparischen Insel und aktiver Vulkan, macht nix. Also nicht direkt zum Stromboli, einige Meilen davor verabschiedet sich nämlich der Wind und wir motoren bei gänzlicher Flaute und einem ölartigen Meer zum Bojenfeld. Die Bojen sind noch nicht ausgelegt, ist ja noch keine Saison. Wir können deshalb frei und gratis ankern, macht auch nix. Der Ankerplatz ist dem Meer komplett ausgesetzt, es gibt kaum Schutz vor Wind und Welle, was ziemlich ungemütlich werden kann. Wir haben aber großes Glück, gibt es doch weder Wind noch Welle, wir verbringen hier zwei erstaunlich ruhige Nächte.

In der Früh kommt ein buntes Fischerboot vorbei, mit einem Prototyp von einem Fischer: älteres Semester, groß, muskelbepackt, zerfurchtes Gesicht mit zerzaustem Rauschevollbart, rissige Hände, quasi das Klischee des Klischees. Da müssen wir einfach kaufen und so wandern zwei Fischlein in unsere Pfanne.

Kurz vor Sonnenuntergang flitzen wir mit unserem Dinghi (ach, wie sehr liebe ich unseren Yamaha 15PS Aussenborder, der herrlich nach 2-Takt-Gemisch duftet, röhrt wie ein Hirsch in der Brunft und spritzig ist wie ein junges Rennpferd) hinaus auf das offene Meer zu einem markierten Beobachtungsbereich, wo man in sicherer Entfernung dem Stromboli beim Ausbrechen zuschauen kann. Alle 10-15 Minuten spritzt eine Lavafontäne mit einem Knall hoch in die Luft, einfach spektakulär.

Nach einem unspektakulären Zwischenstop auf Panarea wollen wir noch eine Vulkaninsel besuchen, nämlich Vulcano. Wir besteigen den Kraterrand, haben einen schönen Einblick in den Krater und Ausblick über die gesamten Liparischen Inseln.

 

Cefalu im Norden von Sizilien, etwas östlich von Palermo ist UNESCO-Weltkulturerbe, ist unser nächstes Ziel, da wollen wir hin. Der Anker fällt hinter der Kaimauer, wo wir gut vor Wind und Welle geschützt wären, wenn es welche gäbe. Warum ganz Cefalu Weltkulturerbe ist erschließt sich uns nicht ganz, aber die Kathedrale und der Burgberg habe dieses Attribut wohl verdient. Die Normannen haben hier einen byzantinisch-normannischen Kirchenbau mit prächtigen romanischen Deckenmosaiken geschaffen, die mich sehr an den Markusdom in Venedig erinnern. Ein riesiger Felsen oberhalb der Stadt wurde als uneinnehmbare Festungsanlage ausgebaut. Der Komplex umfasst nicht nur Verteidigungsanlagen, sondern auch Zisternen, Backstuben, Kirchen und Anbauflächen. Eine große Anzahl an Menschen konnte hier autark leben, Belagerung zwecklos. Die ältesten freigelegten Gebäude, bzw. deren Reste, sind übrigens mykänischen Ursprungs!

Das ankern in Cefalu ist sicher und gratis, die Marina in Palermo hingegen teuer. Wir lassen GYPSEA also vor Anker und nehmen den Zug in die Hauptstadt Siziliens. Palermo ist laut, dreckig und heiß, wurden wir gewarnt. Als wir ankommen nieselt es leicht, uns fröstelt es. Die Straßen sind sauber, also sauber für eine südliche Großstadt, nirgendwo gibt es Müllberge. Palermo ist nicht total renoviert, hat eine ordentliche Patina, macht aber keinen ärmlichen Eindruck, zumindest auf den ersten Blick. An den mittelalterlichen Sakralbauten erkennt man das Erbe der normannischen Hochblüte, das ehemalige friedliche Nebeneinander von vielen Völkern und Kulturen. Die Paläste, die die großen Boulevards säumen zeigen, dass zumindest früher hier ordentlich Geld im Spiel war.

Uns persönlich haben die uralten kleinen Kirchen S. Cataldo und S. Maria dell Amiraglio besonders beeindruckt. Amüsiert hat uns die Geschichte vom Brunnen der Schande, der Fontana pretoria: Im Florenz der Rennessiance hat jemand eine riesigen Brunnen mit vielen nackerten Männern und Frauen in Auftrag gegeben, der aber nicht bezahlt werden konnte. In Palermo war Geld hingegen weniger ein Problem, der Brunnen wurde zerlegt, verschifft und auf einem meiner Meinung nach viel zu kleinen Platz im stockkonservativen Palermo aufgebaut. Das Entsetzen in der Bevölkerung war groß, der Name war geboren.

Wie bei uns der Naschmarkt ist der Mercato Ballaro mehr Fressmeile als Markt. Wir tauchen ein in die sizilianische Küche und kosten uns durch diverse Antipast, Primi und Secondi. Mit aufgeblähten Bäuchen ziehen wir von dannen…

Im äußersten Westen Siziliens liegt Trapani, unser Ausgangspunkt für die Egadischen Inseln. Die Segelei von Cefalu nach Trapani ist sehr entspannt. Zuerst motoren wir dem Wind entgegen, der wie im Wetterbericht angekündigt auch tatsächlich kommt. Der Gennacker zieht uns durch den gesamten Nachmittag und durch die sternenklare Nacht. Um 4 Uhr Früh fällt der Anker vor dem Wellenbrecher von Trapani.

Nach der Stadtbesichtigung, am späteren Nachmittag, wir wollen nach der Nachtfahrt eigentlich schon ins Bett, kommt ein Dinghi vorbei. Maurizio bietet uns einen günstigen Marinaplatz an. Für diese Nacht lehnen wir ab. Aber für den nächsten Tag reservieren wir, erwarten wir doch unvorteilhafte Winde in den nächsten Tagen.

Die Marina ist klein aber fein, saubere Sanitäranlagen, wirklich heißes (!) Wasser in der Dusche, sehr ruhig und das Personal ist äußerst freundlich und hilfsbereit. Außerdem lernen wir Ute und Matthias kennen, 2 Schweizer, die mit einer wunderschönen Moody 54 unterwegs sind.

Gemeinsam erkunden wir Erice, ein mittelalterliches Städtchen auf einem Hügel oberhalb von Trapani. Mit der Gondelbahn geht es wie beim Skifahren hinauf. Hier ist es wirklich nett, uralte Häuschen schmiegen sich in engen Gassen aneinander, alles umrahmt von einer fetten Stadtmauer. Wir genießen den Ausblick von hier oben und den Sonnenuntergang. Dann werden hier die Gehsteige hochgeklappt und das Städtchen ist gänzlich ausgestorben.

Retour an Bord genießen wir noch einen gemütlichen Abend. Am nächsten Morgen fahren Ute und Matthias Richtung Palermo, wir wollen weiter auf die Egadischen Inseln.

Von den Egadischen Inseln Favignana, Marettimo und Levanzo können wir nur die kleinste, Levanzo (ca 5km²), richtig erkunden, bei den anderen können bzw. wollen wir bei den gegebenen Windverhältnissen nicht ankern. Ist aber nicht weiter schlimm, denn auf Levanzo wartet ein besonderes Schmankerl auf uns, die Grotta Genovese, eine Höhle mit prähistorischen Malereien.

Wir vereinbaren einen Besichtigungstermin. Statt mit dem Landrover über staubige Straßen zur Grotte zu fahren, wollen wir den Wanderweg entlang der Küstenlinie wählen, eine wahrlich gute Entscheidung. Der Weg führt durch die blühende und herrlich duftende Macchie, vorbei an einer Mövenkolonie mit etlichen vollflauschigen Jungtieren und malerischen Stränden, immer ein herrlicher Ausblick über das Meer. Die Sonne scheint, es ist aber noch nicht heiß, das haben wir wirklich optimal erwischt.

Vor der Höhle wartet schon unser Guide. Mit Helmen ausgestattet kriechen wir geduckt durch einen engen Gang, der sich nach wenigen Metern zu einem großen Gewölbe weitet. Wir erfahren, dass die Höhle mehrere tausend Jahre für kultische Zwecke verwendet wurde, In einer älteren Phase, vor ca 12-14.000 Jahren wurden Tierbildnisse in den Stein geritzt. Später, vor ca 8-10.000 Jahren wurde mit einem Gemisch von Holzkohle und Tierfett gemalt. Die eingeritzten Bildnisse stellen große Landsäugetiere dar, wie z.B. Esel, Ziegen und Büffel bzw ursprüngliche Rinder, die in ihrer Darstellung sehr den Rindern Picassos ähneln. Die jüngeren gemalten Bilder zeigen Frauen, Männer und Meereslebewesen wie Thunfische, Delfine und Muscheln. Man geht davon aus, dass die Inseln früher keine Inseln , sondern über trockenes Land mit Sizilien verbunden waren. Später stieg der Meeresspiegel, bzw. sank die tektonische Platte ab, die Inseln entstanden, die großen Säugetiere verschwanden und Meerestiere gewannen für den prähistorischen Menschen an Bedeutung.

Diese Höhlenmalereien sind bis jetzt die ältesten Artefakte, das wir jemals gesehen haben.

Eine Schlechtwetterfront naht, wir segeln retour nach Trapani, checken bei Maurizio erneut ein und warten auf ein günstiges Wetterfenster für den Sprung über Sardinien zu den Balearen.