Kaum ist der Kaufvertrag unterschrieben macht sich Edi zum Aufbruch bereit. Als engagierter Esoteriker übergibt er uns in einer emotionalen Zeremonie das Schiff, dann reist er ab.
Jetzt können wir schalten und walten wie wir wollen. Während Nicky im Bootsinneren den Dreck der letzten Jahre beseitigt und wie besessen putzt und schrubbt, widme ich mich den Stauräumen im Boot. Jedes Schapp, jeder Kasten, jede Ecke ist vollgestopft mit alten Teilen, Ersatzteilen, Kabeln, Farbdosen, Klumpert aller Art und jeder Menge Werkzeug. Mühevoll sortiere ich das vermeintlich Brauchbare vom vermeintlich Unnützen (die zahlreichen Fehleinschätzungen werde ich später bemerken), teste Elektrowerkzeuge, sortiere Metallteile und fülle Mist Sack um Mist Sack. Die Guten ins Töpfchen die Schlechten ins Kröpfchen….
Drei ganze Tage schuften wir ohne Pause von den Morgenstunden bis zur Dunkelheit. Aber es zahlt sich aus, langsam leert sich das Schiff, die Holzoberflächen glänzen wieder, der Staub ist weg, die Fenster sind geputzt. Der Cockpitboden stellt uns eine besondere Aufgabe: Werner hat den Teakboden nicht mit Teak Öl, sondern mit Speiseöl eingelassen. Die Fugenmasse hat sich dadurch in einen klebrigen Schlatz verwandelt, der auf den Fußsohlen picken bleibt und somit von uns auf und im ganzen Boot verteilt wird. Das ist ekelhaft, das hat sich Gypsea nicht verdient. An eine rasche Reparatur ist nicht zu denken. Wir besorgen Fleckerlteppiche und decken den klebrigen Boden ab. Das hilft für`s erste.
Dass der Windgeber an der Mastspitze defekt ist, haben wir gewusst. Macht nichts, wir haben bei den vielen Teilen an Bord Ersatz gefunden und ich habe meinen Klettergurt dabei. Also rauf auf den Mast und Windgeber austauschen. Ich sichere mich mit meinem Alpin-Klettersteigset doppelt, Nicky zusätzlich mit einem Fall. Wir sind stolz ob unserer Professionalität. Wieder zurück an Deck unterziehen wir unsere Arbeit einer Prüfung. Der Windgeber zeigt alles mögliche an, nur nicht Windrichtung und -stärke. Also zurück zum Start. Wieder am Mast stelle ich fest, dass am Verbindungsstecker ein Pin abgebrochen ist. Das ist symptomatisch: Wir haben für quasi alles Ersatzteile an Bord, aber die funktionieren auch nicht.
Drei Liegeplätze weiter werkt Rolf aus Cuxhafen an seinem Schiff. Wir kommen ins Plaudern und freunden uns an. Rolf ist ein alter Seebär und war mit seiner Frau sechs Jahre in der Karibik unterwegs. Statt zu Segeln will sie jetzt lieber ihren Garten und die Enkelkinder genießen. Rolf ist hier um sein Schiff zu verkaufen.
Endlich herrscht wieder etwas an Bord, das entfernt an Ordnung erinnert. Wir wollen das schöne windstille Wetter für eine erste Ausfahrt unter Motor nutzen und die Steuerbarkeit testen. Wir bitten Rolf uns zu begleiten, mit einem erfahrenen Skipper fühlen wir uns sicherer. Vor dem Hafen ist die Schifffahrtsrinne sehr breit und tief. Wir fahren etliche Manöver vorwärts, rückwärts und üben Anlegen. Trotz des Langkiels und 25 Tonnen Gewicht ist Gypsea einfach zu steuern, der Radeffekt ist überschaubar stark und gut kalkulierbar, außerdem leistet das starke Bugstrahlruder gute Dienste. Perfekt und stolz wie die Pfaue legen wir an unserem Liegeplatz an.
Das ERSTE Anlegebier mit UNSERER Gypsea rinnt in unsere Kehlen, herrlich.
Nicky zaubert etwas Köstliches in der Küche. Rolf ist heute natürlich unser Gast. Er erzählt aus seinem abwechslungsreichen Leben, wir verleben einen gemütlichen und interessanten Abend. Ich muss jedoch bald in die Koje. Johanna kommt uns besuchen und ich soll sie um 02:00 aus Udine abholen. Nach so einem ereignisreichen Tag brauche ich wenigsten ein paar Stunden Schlaf.