Lieber Gott, bitte gib mir Geduld, aber sofort!

Jetzt leben wir schon seit fast 14 Tagen auf unsere GYPSEA. Neben uns glitzert zwar das Meer, wir stehen allerdings noch immer am Trockenen. Die Wartungs- und Reparaturarbeiten dauern weit länger als geplant und erwartet, dazu kommen noch ungeplante Komplikationen. Aber jetzt der Reihe nach:

Ende Oktober haben wir GYPSEA von San Giorgio nach Izola gebracht. Unsere Freunde von der MAGELLAN haben uns diese Werft empfohlen. Unser Ansprechpartner Ales kümmert sich hingebungsvoll um unser Boot. Wir besprechen alle notwendigen Reparaturen, Wartungsarbeiten und Veränderungen. Über den Winter fahren wir regelmäßig nach Izola, alle Arbeiten verlaufen nach Plan.

1. Mai 2024, Tag der Arbeit und unser erster Tag in unserem neuen Leben. Am Tag davor haben wir uns von unserer Tochter und meinen Eltern verabschiedet, in der Früh von meiner Tante. Mir fällt der Abschied sehr schwer und auch beim Schreiben dieser Zeilen rollen mir dicke Tränen über die Wangen.

Unsere Lieben Freunde, Sabine und Gerrit, führen uns mit ihrem Auto nach Izola. Die Reise wird durch einen Übernachtungsstopp mit erstklassigen Abendessen in Triest unterbrochen. Am nächsten Tag fahren wir die letzte 25 Minuten nach Izola, nicht ohne vorher noch einige wichtige Teile im triestiner Obi zu besorgen. Überhaupt fällt mir auf, dass wir mittlerweile sehr viele Baumärkte und Ikeafilialen zwischen Wien und der nördlichen Adria kennen.

Beim Boot angekommen stellen wir fest, dass seit unserem letzten Besuch alle vereinbarten Tätigkeiten nicht durchgeführt wurden:

  • Der Motor wurde ausgebaut und generalüberholt. Jetzt ist er zwar wieder an Bord, aber noch nicht montiert. Schuld daran ist ein anderer unglaublich lukrativer Auftrag, der zwischenzeitlich aufgetaucht ist

  • Deshalb sind auch die Winschen noch nicht gecheckt

  • Die Wasserkühlung für die Kühlschränke ist geplant, aber die Teile sind noch nicht besorgt bzw gefertigt

  • Die Backstagen (das sind jene Drahtseile , die den Mast nach hinten spannen) wurden demontiert, neue Drahtseile besorgt, jedoch noch nicht montiert

  • Der Rumpf hätte sandgestrahlt werden sollen, aber dafür war das Wetter zu schlecht. Deshalb gibt es auch noch kein neues Antifouling (das ist jener Anstrich, der den Bewuchs von Wassertieren verhindern soll)

  • Das Bimini ist auch noch nicht fertig

Dazu kommen noch jene Arbeiten, die wir jetzt in Ruhe erledigen erledigen wollten

  • Deck neu streichen

  • der 3-fachgeber Log/Echo/Temperatur installieren

  • die gesamte Navigationselektronik inkl. Radar überprüfen

  • 2 Fenster müssen komplett entfernen und neu eindichten

  • 2 von unseren 4 Doradelüftern entfernen

  • alle Undichtigkeiten an Deck müssen beseitigt werden, unser Boot soll von unten und von oben komplett dicht sein

  • div Roststellen an Deck behandeln

  • und noch gefühlt 1000 Kleinigkeiten

Wir bekommen jeden Tag von unserer Servicemannschaft die selbe Auskunft, dass morgen um 9 Uhr ganz sicher die Arbeiten beginnen werden. Clint Eastwood, unser Rigger, bestätigt unsere Verdacht, dass „morgen um 9“ die gleiche Verlässlichkeit besitzt wie das aus Südamerika bekannte „mañana“. Also müssen wir unsere Strategie ändern.

Jetzt möchten wir unsere Servicemannschaft vorstellen:

Ales: Ist sehr bemüht, kompetent, koordiniert alle Tätigkeiten, zerreißt sich jedoch zwischen den Aufträgen.

Veki: extrem kompetenter und genialer Mechaniker mit goldenen Händen, verfügt allerdings über keinerlei Selbstorganisation.

Patrick: Macht alles aus Inox (Edelstahl), sonst aber nix. Patrick arbeitet gemeinsam mit seinem Vater und beide gehen vor Aufträgen und Stress unter. Gerne hätten sie Mitarbeiter, finden aber keine. Ganz besonders schätzen sie es dann, wenn Veki einen Teil, der seit Monaten bereits fertig ist, geändert haben will und zwar sofort. Unser neuer Auspuff ist so ein Teil.

Außerdem fährt Patrik Motorradrennen. Beim Letzten hat es ihn ziemlich zerlegt, bei unserer Ankunft hatte er beide Hände im Gips. Gearbeitet hat er trotzdem.

Von Clint Eastwood wissen wir nicht wie er wirklich heißt, aber er schaut so aus wie Clint und ist unser Rigger. Die Arbeitsmoral im Allgemeinen und die Verzögerungen in der Werft sind ihm ein Greul. Gerne erzählt er von den Zeiten unter Tito, wo er zur See gefahren ist und alle zur pünktlichen Arbeit angehalten wurden. Er erstellt genaue Kostenvoranschläge (das ist sein Alleinstellungsmerkmal) und hält sich peinlichst genau an die verabredeten Arbeitszeiten (was das zweite Alleinstellungsmerkmal ist), die immer so gestaltet werden, dass er auch genügend Zeit für seine alte Mutter hat. Leider ist auch er abhängig von den Monteuren, die in etwa so zuverlässig sind wie die Deutsche Bahn. Er ist stolzer Besitzer eines gelben Opel GT BJ 1972, den er bereits 2 mal komplett restauriert hat und der jetzt sicherlich besser ist als neu.

Der Bimini-Mann kommt peinlichst genau zu den verabredeten Zeiten um zu verkünden, dass es heute zu windig, zu feucht, zu weißnichtwas ist und er deshalb heute leider wieder nicht ausmessen kann. Noch können wir nicht ahnen, dass das Bimini rechtzeitig geliefert und erstklassig sein wird.

Unsere Tage sind von Chaos geprägt. Damit der Motor von allen Seiten gut zugänglich ist, muss der Boden vom Decksalon entfernt werde. Das heißt, mitten im Boot klafft ein riesiges Loch, über das wir permanent hinweg klettern müssen. Dafür stehen die Bodenplatten im Weg herum. Veki kommt meist in der Früh kurz vorbei und entfernt den Boden. Dann verschwindet er wieder für viele Stunden. Wenn wir Sehnsucht nach Veki verspüren, müssen wir nur den Boden schließen. Dann dauert es keine 10 Minuten bis er wieder da ist, fluchend den Motorraum wieder öffnet und auch gleich wieder fort ist.

Die undichten Stellen und die Löcher der Doradelüfter dichten wir mit Glasfaser und Epoxy ab. Der durch die Schleifarbeiten entstehende Staub verteilt sich am und im Boot. Wir (also zugegeben, meistens die Nicky) sind permanent am Staubsaugen und putzen und das immer mit dem riesigen klaffenden Loch vom Salon in den Maschinenraum.

Da am Wassertank noch gebastelt werden soll („we will do this tomorrow, 9 o’clock“)kann dieser noch nicht mit Wasser gefüllt werden, wir müssen also jeden Tropfen Wasser in Flaschen an Bord bringen. Ist aber eh auch wurscht, denn solange der Motor noch nicht fertig ist, kann ich die Wasserpumpe sowieso nicht montieren.

Unser persönlicher Klabauter sorgt auch dafür, dass das Werkzeug nie dort ist wo es sein sollte, bzw wo ich es vermute. Und dann kletterst Du 3 mal über das Loch im Salon für einen Schraubenschlüssel oder eine Nuss, nur um festzustellen, dass Du die falsche Größe erwischt hast.

In unseren Arbeitspausen radle ich über das Werftgelände und besuche jene Menschen, die eigentlich bei uns am Boot arbeiten sollten und versuche sie dazu zu bewegen dies auch zu tun. Das alles nervt ganz fürchterlich.

Abends erholen wir uns im Wellnessbereich. Die Werft verfügt nämlich über Nassräume mit immerhin 2 Klos (aber nur einer Klobrille), die einmal pro Woche gereinigt werden und 2 Duschen, die nie gereinigt werden, deren Duschvorhang aber jeden Mikrobiologen zum Jauchzen bringen würde aufgrund der Artenvielfalt.

Fazit:

  • eine Werft ist kein Ferien-Club

  • trotzdem wird nur dann gearbeitet, wenn Du permanent die Arbeiter antreibst

  • zahle nicht die erledigte Arbeit, sondern erst, wenn das vereinbarte Gesamtpaket abgearbeitet wurde

  • zwischen Izola und Lateinamerika gibt es bedeutende Parallelen